Text: Bernadette Lietzow
Mode und Styles kommen und gehen, der regelmäßig gefeierte „letzte Schrei“ ist Ausdruck von Schnelllebigkeit und nicht zuletzt im Interesse der Gewinnmaximierung einer Textilindustrie, deren fragwürdiger Umgang mit Menschen und Umwelt zunehmend auf berechtigte Kritik stößt.
Umso lohnender ist es, vitales überliefertes Mode-Handwerk aus Österreich neu zu entdecken. Eine Anwältin für „G’wand“ mit Geschichte ist die Tirolerin Christine Ehrenstraßer. Als Trachtenschneiderin gilt ihre Passion jenen traditionellen Kleidungsstücken, die nahezu in allen Weltgegenden, von Mexico bis Finnland, von Korea bis Rumänien nicht nur ihre Trägerinnen und Träger schmücken, sondern auch Botschafter einer Region und deren Brauchtum sind. „Eine Tracht zu tragen zeigt den Bezug zur Landschaft, in der wir geboren und aufgewachsen sind oder wo wir hingezogen sind und bleiben möchten. Das versuche ich als Trachtenschneiderin meinen Kunden zu vermitteln“, kleidet Christine Ehrenstraßer ihre Beweggründe, die Tracht als Kulturgut lebendig zu halten, in Worte und setzt Taten: neben je nach Wunsch gefertigten Originalen aus der reichen Fülle klassischer Tiroler Vorlagen, von der berühmten Alpbacher Tracht bis zum Festtags-Kasettl, gibt sie ihr Wissen zudem in äußerst nachgefragten Hands-on-Kursen an Interessierte weiter.
Was aber macht die Tracht, was macht Kleidung, die in ihrer kanonisierten Erscheinungsform an vergangene Jahrhunderte anknüpft, auch heute noch so faszinierend? Wie entstand, gerade im Alpenraum, diese Vielfalt an Formen und Farben, die heimische und internationale Designer wie Susanne Bisovsky, Kenzo oder Vivienne Westwood inspirierten und inspirieren?
Ein Blick in die Geschichte lohnt. Waren vor allem die unteren Stände, Leibeigene und Bauern, rigiden Kleiderordnungen, wie jener Ferdinand I. aus dem Jahr 1552, unterworfen, die nur bestimmte Materialien und eine auf Erdtöne reduzierte Farbauswahl zuließen, so änderte sich dies ab der Mitte des 18. Jahrhunderts. Jean-Jaques Rousseaus philosophisches Credo des „Zurück zur Natur“ und die Ideen der Aufklärung rückten die alten Vorschriften soweit in den Hintergrund, dass diese von den österreichischen Herrschern Maria Theresia und ihrem Sohn Joseph II. nicht mehr exekutiert wurden.
Parallel dazu entwickelte sich ein starkes Interesse des Adels am Rustikalen, so ließ sich Marie Antoinette von der aufgrund ihres Einflusses auf die Königin auch „Ministerin der Mode“ genannten Schneiderin Rose Bertin Roben à la tyrolienne anfertigen. Die Französische Revolution machte den edlen Schäferspielen ein Ende, die Begeisterung für das „Ländliche“ blieb aufrecht. In diesem Klima entstehen nun bis in die 1830-er Jahre, ausgehend von herkömmlichen Kleidungsbestandteilen wie dem Kittel oder der Kniehose, die heute bekannten traditionellen und auf einzelne Landschaften verweisenden Trachten.
“Würde jede Frau ein Dirndl tragen,
Vivienne Westwood
gäbe es keine Hässlichkeit mehr auf der Welt.”
Spannend sind die Einflüsse der Mode jener Zeit, findet sich der Zylinder in abgewandelter Form als Frauenhut zum Kasettl oder spiegelt sich die biedermeierliche Farbenlust in den reich bestickten Miedern, Bauchgurten und Joppen, den Schürzen und bunten Tüchern wider.
All das, was den Vorfahren untersagt war, bis hin zu Gold- und Silberfäden oder Seide findet nun Verwendung, die aufkommende Textilindustrie ermöglicht mit maschinell hergestellten Stoffen und Zubehör auch weniger vermögenden Schichten den Zugriff auf eine immer weiter wachsende Material-Palette.
Am Beispiel des nach wie vor klassischen Paisley-Musters für den zur Unterinntaler Festtagstracht getragenen „Doppelschal“ lässt sich ablesen, wie die weite Welt ins Alpenland kam: mit dem bekannten Blattmotiv bestickte indische Kaschmirtücher begeisterten die britische Hautevolee, Weber im schottischen Paisley fertigten die gemusterten Stoffe aus heimischer Wolle, ihre böhmischen Kollegen taten es ihnen gleich und lieferten ihre kostbare Ware bis in Tiroler Täler.
“Eine Tracht begleitet dich dein Leben lang und deshalb verwende ich dafür nur Material von allerbester Qualität aus einheimischer österreichischer Erzeugung.”
Christine Ehrenstraßer
Beweis dafür, dass die Tracht als einer Region zuzuordnende Kleidung auch gerne über den Tellerrand, oder vielmehr über die Berggipfel geschaut hat. Schwere Zeiten wie die Vereinnahmung von „Heimat“ und damit auch der Tracht durch den österreichischen Ständestaat und den Nationalsozialismus, 50-er Jahre Dirndl-Kitsch und die verwegenen Kreationen zeitgenössischer Diskonter-Oktoberfest-Mode gilt es mitzudenken, um den Blick für diese Traditionskleidung und deren umfassende Finesse zu schärfen. Weil: „Tracht kann in ihrer Vielfältigkeit Ausdruck höchster Individualität sein“, wie der österreichische Schauspieler, Autor und überzeugte Lederhosen-Anhänger Miguel Herz-Kestranek meint.
Zurück ins Tiroler Unterland und zu einem Kleidungsstück, dem die besondere Aufmerksamkeit der Trachtenschneiderin Christine Ehrenstraßer gilt: dem Kasettl oder „Röcklgwand“. Diese schwarze Festtagstracht, die im Unterinntal, in Teilen Salzburgs und Oberbayerns verbreitet ist, wurde und wird traditionell erstmals bei der Hochzeit und später zu hohen kirchlichen Anlässen getragen.
Aufwendige Goldstickereien an Halstuch und an der Unterseite des zylinderartige “Kasettl“-Hutes, die bestickte Ausschnittblende, die tief angesetzten Ärmel mit Zierbesatz machen diese Tracht zu einer Kostbarkeit und zur willkommenen Herausforderung für die Trachtenschneiderin und ihre Kursteilnehmerinnen. Arbeit die sich lohnt und eine Tracht, die das Zeug hat, zum Familienerbstück zu werden.
Trachtenschneiderei Ehrenstraßer
Christine Ehrenstraßer
Endstrass 21
6320 Angerberg
Termine Trachtennähkurse auf
www.trachtenschneiderin.at
NÄHTIPP – Stifteln oder Einreihen
Zum Nähen des Trachten- oder Dirndlrocks und vor allem für die Schürze wird die alte traditionelle Handarbeitstechnik des Stiftelns oder Einreihens angewendet. Wichtig dabei ist ein spezielles kariertes Band – das Reihkaro – oder ein karierter Baumwollstoff. Die Karogröße sollte zwischen 3 und 5 mm sein.
Am besten ist es, Knopflochseide zu verwenden, da sie fester als normale Nähseide ist.
Das Karoband oder den karierten Baumwollstoff in der gewünschten Breite an den Kanten entweder mit Zickzackstich oder mit der Overlock versäubern. An der oberen Kante den Schürzenstoff mitnähen. Dem Karomuster folgend horizontal per Hand der Faden durch beide Stoffe ziehen – je nach Geschmack – fünf bis sieben Reihen.
Anschließend die Fäden an einer Seite verknoten und den seitlichen Saum schmalkantig umnähen, danach die Fäden gleichzeitig und möglichst gleichmäßig ziehen. Die Schürze sollte im Endergebnis eine Bundlänge von einem halben Taillenumfang minus 4 cm haben. Dann die Falten schön zurechtzupfen, die Fäden verknoten und den seitlichen Rand wieder einschlagen und knapp absteppen.