WALZEN – EIN ALTES HANDWERK NEU ENTDECKT

Bevor in den 1970er Jahren die Tapete Einzug in die Wohnungen und Häuser gehalten hat, wurde gewalzt. Die Wände bekamen florale oder geometrische Anstriche. Die 1950er Jahre waren im Muster noch dezent, die 1960er schon gewagter, vereinzelt fand man Comicstars und Wild-West-Motive in den Kinderzimmern. In den 1970er Jahren erinnerten die Muster der Wände an Pril-Blumen. Gewalzt und gerollt wurde mit Musterwalzen oder Strukturwalzen, und es war Teil des Maler-Handwerks. Im ländlichen Raum war es zudem üblich, dass die Bauern oder Bäuerinnen selber Hand anlegten und die Wände der Höfe und Ställe malerten. Die Rollen wurden auf dem Dachboden und in der Scheune gelagert.

Man konnte sie bei Malermeistern, Farbgeschäften oder in Apotheken ausleihen. Das erste Patent für einen „Handdruckapparat mit Selbstfärbung“ zur Wanddekoration wurde 1879 angemeldet. Waren die ersten Walzen noch aus Holz, wurde später Gummi der ideale Werkstoff.

Die Rohlinge wurden von Hand geschnitten, damit wurde das Werkzeug für die Spritzgußmaschine gemacht. Anfang der 1920er Jahre gab es erste Kataloge, die Blütezeit der Musterwalzen begann jedoch mit dem zweiten Weltkrieg, als Papier für die Tapeten rar und teuer war. Mittlerweile haben die meisten der früher zahlreichen Hersteller für Musterwalzen ihren Betrieb eingestellt. Im fränkischen Hof lässt Tobias Ott die alte Tradition der Strukturwalzen wiederaufleben und führt seit Ende 2015 sein kleines Unternehmen. Er beliefert InnenarchitektInnen, Design-Verliebte,

“Walze” kommt vom Wort walzan: sich drehen, fortbewegen.
“Auf der Walz / Walze sein, auf die Walz / Walze gehen”:
als Handwerksbursche oder -mädchen auf Wanderschaft sein.

Hobbybastler und Künstler, die das kreative Werkzeug mit historischen Wurzeln für sich wiederentdeckt haben. Das Einsatzgebiet für die Rollen ist vielfältig geworden: Wurden früher nur die Wände mit Rollen verziert, sind es inzwischen Holzmöbel, Papier, Keramik, Porzellan und Stoffe. Tobias Ott hat seine Leidenschaft für Strukturwalzen mit dem Bedrucken von Postkarten begonnen, inzwischen betreibt er einen eigenen Fertigungsbetrieb für Strukturwalzen und ist dabei weltweit der letzte Hersteller, der Walzen von Hand und dadurch ohne sichtbare Nähte im Muster und mit stabilem Holzkern produziert. Die Walzen werden umweltverträglich aus geshreddertem Weich-PVC hergestellt. Neben der Produktionsstätte ist seine Sammlung an teils historischen Strukturwalzen auf 4000 Stück angewachsen, die er wie ein “lebendes Archiv” führt. Darin befinden sich Nachlässe ehemaliger Hersteller, sowie Werkzeuge und Muster aus über 100 Jahren Musterwalzen-Geschichte.

WEITERFÜHRENDE LINKS:
Historisches und Hintergründiges zu Musterwalzen von Birger Jesch, Maler, freiberuflicher Handwerker und Künstler. Er arbeitet mit historischen Musterwalzen im Bereich Denkmalpflege
und in der modernen Raumgestaltung. www.musterwalzen.de
Verkauf und Verleih von teils historischen Strukturwalzen und Infos zu Veranstaltungen, Ausstellungen und Workshops zu Struktur- und Musterwalzen.
Tobias Ott, Hof/Bayern www.strukturwalzen.de